Wie ich mich auf einen Schlag von meinen 2.000 Büchern trennte | Gastbeitrag von @paaddor

peter-addorDies ist ein Gastbeitrag von Peter Addor, den er spontan als Reaktion auf unseren gestrigen Gastbeitrag von Michael über das Loslassen von Büchern schrieb. Ich kenne Peter aus dem MOOC Maker Course 2013 und schätze ihn seither als höchst charmanten Querdenker in Sachen Lehren und Lernen 2.0. Wir befinden uns beruflich in der gleichen Ecke – er arbeitet an der Fernfachhochschule Schweiz. Auf Twitter (@paaddor) steht in seiner Bio: „Digital Pioneer und Web junkie. Ich denke gerne über dynamische komplexe Systeme und Selbstorganisation nach und blogge darüber. Von Haus aus Mathematiker.“

Dass Peter sich aktuell dem Minimalismus verschreibt, hab ich erst gestern erfahren.

Umso begeisterter bin ich, heute schon mehr von ihm darüber zu lesen!

***

Wie ich mich von meinen Büchern trennte

Buecher_voll

Ich liebe Bücher! Während des Studiums bestellte ich mir gewiss wöchentlich Mathematikbücher vom Universitystore der Princeton University. Seit ungefähr zehn Jahren bin ich als «Dozent» an einer Fachhochschule tätig und kaufe wieder wöchentlich vorwiegend Sachbücher. Wenn ein Paket im Briefkasten liegt, ist das für mich fast wie Weihnachten. Da ich so viele Bücher bestelle, weiss ich jeweils nicht mehr konkret, was wann angeliefert wird. So ist es für mich jedes Mal eine Überraschung, ein Paket zu öffnen. Und wie sie duften! Und die vielen verschiedenen Farben und Bilder auf den Buchdeckeln! Im Verlauf der Zeit haben sich gut und gerne um die 2000 Bücher angesammelt. Das braucht Platz! Und jedes Mal, wenn das Büchervolumen an die Grenzen des Regals gestossen ist, musste ich die ältesten und unbrauchbarsten Exemplare wegwerfen. Das schmerzte immer.

“Shrink your property to an icon”

Nun komme ich langsam in das Alter, wo einem die Gesellschaft aushält, dankbar für das, was man ihr während 40 Jahren gegeben hat. Endlich werde ich die Möglichkeit haben, zu versuchen, alle die Fragen zu beantworten, die sich in diesen 40 Jahren angesammelt haben und denen ich aus Zeitgründen nicht nachgehen konnte. Zunächst ziehen wir uns in eine kleine Wohnung zurück, in welcher wir die Sommerzeit verbringen werden. Im Winter werden wir uns –   vorwiegend von Airbnb zu Airbnb nomadisierend – in wärmeren Gegenden aufhalten, wo wir mit wenigen T-Shirts und ein paar Shorts auskommen werden. Dazu habe ich mir eine möglichst grosse, aber stets tragbare Reistasche gekauft, in der all mein Besitz des täglichen Gebrauchs Platz finden muss.

Powerbanks statt Bücher

Das bedeutet, dass insbesondere meine geliebten Bücher über die Klinge springen müssen, denn schon nur wenige Bände sind zu schwer und zu platzraubend, als dass sich mit ihnen umherziehen liesse. Daher habe ich mich schon vor ungefähr einem Jahr schweren Herzens von meinem Buchbesitz getrennt und durch das Web und einzelne e-books ersetzt. Warum soll ich Bücher mit mir herumschleppen, wenn ich sie auch in der Cloud stehen lassen kann, auf die ich von überall in der Welt Zugriff habe? Anstelle von zwei oder drei Büchern trage ich jetzt Powerbanks herum, die sich mit Sonnenlicht und Muskelkraft aufladen lassen.

Phantomschmerzen

Die Entsorgungsaktion war schmerzhaft. Ich liess einen Antiquar kommen, der mir ca. 500 Euro gab und dafür alle Bücher abtransportieren musste. Es war mir unmöglich zu entscheiden, welche Bücher ich noch brauchen werde und welche nicht. Daher behielt ich nur gerade diejenigen, die ich für den Unterricht benötige und ein paar wenige «Bibeln», die mein Evangelium enthalten, wie z.B. Senges fünfte Disziplin oder Dörners Logik des Misslingens. Seit der Entsorgungsaktion habe ich schon unzählige Male ein Buch vermisst. Ich weiss immer genau, in welchem Buch das, was ich suche, zu finden wäre. Ich weiss, wo im Regal das Buch gestanden hat und wo im Buch ich suchen müsste. Aber es ist weg! Also muss ich im Web suchen. Und ich habe noch immer gefunden, wonach ich gesucht habe. Es geht auch ohne diese voluminösen, schweren, immobilen Schinken.

Buecher_leer

6 Gedanken zu “Wie ich mich auf einen Schlag von meinen 2.000 Büchern trennte | Gastbeitrag von @paaddor

  1. Radikal aber genial. Respekt, den Phantomschmerz würde nicht jeder aushalten. Aber eine Frage bzgl. der vielen Fachbücher habe ich nun schon. Du hast dir ja fast wöchentlich was schicken lassen, und dies ist keine einfache Kost. Wie viele davon hast du wirklich gelesen?
    BG
    Michael

    Like

  2. Hallo!

    Wow, ein sehr emotionaler Beitrag, der mich tief berührt hat. Und auch eine Sehnsucht. Ich habe leider noch nicht die 40 Jahre geschafft, würde aber jetzt schon so gerne!

    Obwohl ich so viele Bücher (noch immer) besitze, weiß ich auch ganz genau wo jedes einzelne steht und wo ich was finde. Denn ich besitze keine Hand voll Romane sondern hauptsächlich Fachbücher. Und genau das macht es mir so schwer.

    Ich bewundere diesen Schritt, einfach alles weg zu geben und los zu lassen. Daran arbeite ich mich langsam hin.

    Wie schön, dass auch dieser Beitrag hier Platz gefunden hat!

    lg
    Maria

    Like

  3. Lieber Peter Addor, wie wunderschön beschreibst du dein sinnliches Erleben, wenn du Bücher bestelltest, sie aus der Verpackung holtest, überrascht warst. Ja, Bücher sind etwas Sinnliches, sie duften, fühlen sich gut an und sehen gut aus. Zu meinen allerschönsten Büchererlebnissen gehört der Besuch bei Manfred Mixner in Berlin 1993, der eine erlesenste Privatbibliothek von rund 14.000 Bänden hatte. Jeder Abend war eine Privatreise durch die gesamte Weltliteratur: Buch rausnehmen, einige Seiten lesen, Buch wieder reinstellen und so weiter! Ich war umzingelt von Weltliteratur, griffbereit in den schönen Regalen. Oder unsere erlesene Institutsbibliothek der Grazer Germanistik, an der ich viele Nachmittage schmökernd verbrachte. Seit einigen Jahren trage ich den Gedanken in mir, in meinem Ruhestand ebenfalls eine kleine Bibliothek einzurichten, um einen Teil der mir wichtigen Ideen- und Geistesgeschichte, Belletristik, Sachbücher, Biografien, Bildbände u.v.m. griffbereit um mich zu haben. Kurzum: Ohne Bücher fehlte mir Essenzielles zu meinem Lebensglück. Internet und E-Books – die ich beide überaus schätze und nutze – können mir die Bücher nicht ersetzen, allenfalls ergänzen. Kurzum: Bücher lieben wir beide, lieber Peter! Ich kann mir daher gut vorstellen, wie schwer es für dich gewesen sein muss, dich von deinen Büchern zu trennen. Möge dich dein Nomadentum jedoch immer wieder in die eine oder andere Bibliothek führen! Dein Christian Ehetreiber

    Like

  4. Vor diesem Schritt habe ich großen Respekt. Ich habe mich schon von vielen Dingen getrennt, insbesondere auch dem Zuviel an Kleidung. Aber bei Büchern schaffe ich das noch nicht. Ich kaufe zwar auch keine nach, sondern nur noch ebooks, aber weiter kann nicht noch nicht gehen. Mal sehen, ob irgendwann der Punkt kommt, an dem ich die Bücher auch loslassen kann.

    Viele Grüße
    Birgit

    Like

  5. Wow, das ist wirklich ein sehr radikaler Schritt! Glückwunsch!! Von meinen geliebten Büchern habe ich mich inzwischen nach und nach getrennt. Und gestern habe ich dann 8 Kartons alte Kinderbücher vom Dachboden meiner Eltern aussortiert, bei denen ist es mir dann auch gar nicht mehr schwer gefallen… Ich wünschte mir nur, dass ich bei einigen anderen Dingen so radikal sein könnte.

    Like

Hinterlasse einen Kommentar